Vortrag

Dienstleistungsgewerkschaft verdi - HV, Berlin 20. Juli 2005
Workshop

"Elektronische Vernetzung von Transport- und Logistikleistungen. Beschäftigungsentwicklung und Gestaltungspotentiale für die Beschäftigten"

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Dr. Jürgen Lange

ANMERKUNGEN ZUR SITUATION DES SPEDITIONSGEWERBES IN DEUTSCHLAND


Das Speditionsgewerbe gehört zu den Branchen, die sich am intensivsten in ihrer Struktur und ihren Aufgaben - mittels Implementierung innovativer Informations- und Kommunikationstechnologien in der globalen Vernetzung von Transport- und Logistikaktivitäten für die Produktion und den Handel - verändert hat.

Im letzten Jahrzehnt hat sich das Speditionsgewerbe mit seinen traditionellen Sektoren Lagerei, Distribution, Warenbehandlung und Transport in die neu herausgebildete Logistikbranche integriert. Die traditionellen Aufgaben und die besonderen Qualifikationen einer Spedition reichen jedoch für die komplexen Logistikaufgaben nicht mehr aus.

Logistikunternehmen verrichten zwar nach wie vor speditionelle Aufgaben, wie z.B. die Warendistribution usw., ihre Aufgaben haben sich aber erheblich ausgeweitet. So übernehmen sie mit zunehmender Tendenz wertschöpfende Produktionsaufgaben:

  • sie werden in den industriellen Fertigungsprozess (Produktionsprozess-Lose) von Industriekunden z.B. im Automobilsektor (z.B. BLG - Daimler-Chrysler) integriert und liefern Teilfertigungsprodukte direkt "ans Band",
  • sie gestalten und steuern für Warenhäuser weltweit den Güterfluss (Supply Chain Management),
  • sie distributieren kundennah (z.B. Otto-Versand - Hermes oder BLG - Tchibo),
  • sie beliefern und bestücken Kaufhausregale (z.B. Metro - DPD) oder
  • sie montieren komplexe medizinisch-technische Anlagen, wie z.B. Kernspintomographen für die Firma Philips durch UPS.
Zu beobachten ist, dass durch die Rationalisierungsprozesse in der industriellen Produktion und dem weltweiten Handel - ermöglicht durch die I&K-Technologien wie z.B. das Internet und die Satellitenkommunikation - der globale Wettbewerb über virtuelle Netzwerke erfolgt, die sich nach Erfüllung eines Kundenwunsches auflösen und in anderer Zusammensetzung zur Bewältigung eines anderen Kundenwunsches neu bilden.

Logistikunternehmen sind prädestiniert für solche logistischen Dienstleistungen, weil sie diejenigen sind, die nicht nur die Güter physisch bewegen, sondern auch die Netzwerkprozesse überwachen und steuern. Für das einwandfreie Funktionieren der Prozesse innerhalb einer Supply Chain Organisation benötigen die Prozessteuerer gut qualifizierte Transportmitarbeiter.

Die Transportaufgabe ist innerhalb der Supply Chain zwar nach wie vor die wichtigste Aufgabe, aber sie ist zugleich eine der wenigen Aufgaben, die sich mit relativ einfachen Basisqualifikationen bewältigen lassen. Hier hat die Logistikbranche ihre höchsten Rationalisierungspotenziale ermittelt, nicht zuletzt deshalb, weil der Transportbereich durch die hohe Personalbindung auch den höchsten einzelwirtschaftlichen Kostenfaktor darstellt.

Zu beobachten sind folgende Rationalisierungsstrategien:

  • Beschäftigung von Subunternehmen (outsourcing)
  • Prekärisierung von Transportarbeiten (Reduzierung von Löhnen, Heraufsetzung von Arbeitszeiten)
Die Outsourcing-Strategien der verladenen Wirtschaft haben dazu geführt, dass die Transportbranche - etwa 97.000 Transportunternehmen sind im Jahr 2003 in Deutschland tätig gewesen, 56% der Unternehmen beschäftigten bis zu 5 Arbeitnehmer, 31% der Unternehmen bis zu 19 Mitarbeiter und nur 13% der Unternehmen beschäftigten durchschnittlich 80 Arbeitnehmer (BAG USTAT, Köln 2004) - insbesondere in der Unternehmensgruppe Kleinst- und Kleinbetriebe ("Einfahrerunternehmen") - die Transportfahrzeuge in der Kategorie bis 7,5t betreiben - "atomisierte".

Kostendeckende Einkünfte werden von diesen "selbstständigen Einzelunternehmern" selten realisiert. Selbstausbeutung unter Umgehung der einschlägigen Gesetze und Verordnungen (Sicherheits- und Gesundheitsschutz) sind die Regel. Diese Selbstständigen sind außerordentlich schwierig für die nationalen Kontrollbehörden und Berufgenossenschaften zu erreichen.

Auch wenn die Transportarbeiter (Fahrer) angestellt sind, unterliegen sie den gleichen Verwertungsbedingungen, haben jedoch den erheblichen Vorteil, dass sie in einem Unternehmen tätig sind, das sich an die einschlägigen Gesetze und Verordnungen zu halten hat, über ein betriebliches Sicherheits- und Gesundheitsschutz - Management verfügt, eine entsprechende Arbeitnehmervertretung (BR) hat und im Falle von Überschreitungen belangt werden kann.

Praxis des Sicherheits- und Gesundheitsschutzes

Von den 26 größten Transport- und Logistikdienstleistern, die den deutschen Logistikmarkt abdecken und weltweit im globalen Netzwerkwettbewerb stehen, transportieren nur noch drei Unternehmen ausschließlich mit eigenen Fahrzeugen und mit eigenem Personal. Der überwiegende Anteil fährt mit eigenen Fahrzeugen und mit Subunternehmen (14 Unternehmen); sieben Unternehmen bieten ihre Transporttätigkeit ausschließlich mit Subunternehmen an. Nach Aussagen von Logistikunternehmen ist dies die zukünftige Tendenz.

Für den Sicherheits- und Gesundheitsschutz hat diese Entwicklung erhebliche Konsequenzen. Grundsätzlich gelten zwar Sicherheits-, Arbeits- und Gesundheitsschutzbestimmungen, -gesetze und -richtlinien für alle Unternehmen (auch für den einzelnen Fahrer, der sein eigenes Einmann-Unternehmen betreibt). Die Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen in den überwiegend kleinstunternehmerisch organisierten Betrieben gestaltet sich jedoch schwierig, weil diese Unternehmen - im Gegensatz zu den Großunternehmen - über keine innerbetriebliche Sicherheits- und Gesundheitsschutzorganisation verfügen.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Klein- und Kleinstunternehmen zwar vertraglich an ihre Auftraggeber gebunden sind - mit konkreten Qualitätsnormen, die bei Nichteinhaltung mittels Pönale sanktioniert werden - die die Einhaltung der Sicherheits- und Gesundheitsschutznormen abfordern, wobei allerdings enge Routenplanungen und Abladetermine die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen oftmals verhindern.

In der Konsequenz vernachlässigen die Subunternehmen die Sicherheits- und Gesundheitsschutzvorschriften, um ihre Ergebnisse in einem wirtschaftlichen Rahmen zu halten. Zu erreichen ist dies in der Regel für Kleinunternehmen nur, indem sie prekäre Arbeit akzeptieren.

Logistikunternehmen, die sich im globalen virtuellen Netzwerkwettbewerb befinden, geben sich eigene Verhaltensregeln, sog. Code of Conduct, in denen sie sich verpflichten, die einschlägigen Gesetze, Regeln und Verordnungen zum Schutz der Arbeitnehmer, die in den einzelnen Staaten gelten, zu beachten.

Für die Erbringung einer einheitlichen Produktqualität innerhalb eines Netzwerkes sind präzise Kriterien für die Behandlung des Gutes definiert, die bei Nichteinhaltung (bei Zeitüberschreitungen, Beschädigungen etc.) zu empfindlichen Geldstrafen für den Verursacher führen.

Sicherheits- und Gesundheitsschutzkriterien sind üblicherweise in den Unternehmensphilosophien in Form von Absichtserklärungen formuliert, ihre Überwachung erfolgt jedoch immer über die jeweiligen nationalen Behörden der im virtuellen Netzwerk beteiligten Unternehmen.

Da die virtuellen globalen Netzwerke häufig nur kurzzeitig existieren und nach Beendigung eines Kundenwunsches aufgelöst werden, ist eine Kontrolle durch staatliche Einrichtungen nur schwer durchführbar. Sicherheits- und Gesundheitsschutz ist im Transportbereich als eine wichtige human-ressourceschonende Größe nur schwer zu realisieren.

Analyse der Sicherheits- und Gesundheitsschutzbedingungen der im Speditions-/Logistikgewerbe tätigen Kraftfahrer

Es ist das Ziel,

  • eine Einschätzung der betrieblichen Sicherheits- und Gesundheitspolitik in der Verkehrs- und Transportbranche zu geben,
  • ein Leitbild für den betrieblichen Umgang mit der Gesundheit der Beschäftigten zu formulieren,
  • den Entwicklungsbedarf und Entwicklungsmöglichkeiten zu ermitteln und
  • Handlungsempfehlungen für die Unternehmen und die überbetrieblichen Akteure zu erarbeiten
Die betriebliche Sicherheits- und Gesundheitspolitik im Speditions- und Logistikgewerbe (Transportsektor) wird in den großen Unternehmen (global agierende, konzerngestützte Kapitalgesellschaften) durch die Mitbestimmung und Arbeitsschutz geschaffenen Voraussetzungen partnerschaftlicher Zusammenarbeit im Sinne einer mitarbeiterorientierten betrieblichen Personalpolitik ausgestaltet. Zu konstatieren ist jedoch, dass gerade in dem untersuchten Speditionssektor, die für eine konstruktive und zukunftsorientierte Integration personal- und gesundheitspolitischer Aktivitäten liegenden Möglichkeiten für den Gütertransport unzureichend sind oder gar nicht nützen.

Die Gründe hierfür sind vielfältig. Der High-Tech-Sektor Logistik, der mit Unterstützung innovativer IuK-Technologien Güterströme global organisiert und steuert, dezentrale, virtuelle Produktionsprozesse vernetzt, Handelsunternehmen kunden- und nachfrageoptimal betreut, optimiert seine einzelwirtschaftlichen Ergebnisse mit Outsourcing-Strategien im physischen Gütertransport durch die Beschäftigung von Subunternehmen.

Der Transportsektor ist "mittelständisch" strukturiert, wobei das Gros der Transportunternehmen Klein- und Kleinstbetriebe sind, die als Subunternehmen vertraglich an die wenigen Großunternehmen der Branche gebunden sind, mit klaren Vorgaben in Hinblick auf Transportqualität und Zeitpräzision.

Die Mehrheit der Transporteure sind Einzelfahrer, die Fahrzeuge in den Klassen 2,8 t - 3,5 t und 3,5 t - 7,5 t betreiben, eingebunden in Transporttarifstrukturen mit prekären Entlohnungen.

Diese Betriebe sind nicht in der Lage, Sicherheits- und Gesundheitsschutzleitbilder zu entwickeln und in ihren Unternehmen umzusetzen; die Befragungen in einzelnen ausgewählten Transportunternehmen und Gespräche mit Einzelunternehmern haben ergeben, dass die allgemeinen gesetzlichen Sicherheits- und Gesundheitsschutzregeln nur unzulänglich oder gar nicht bekannt waren. Was die aktive und passive Sicherheit in und an den Transportfahrzeugen (LKW) betrifft, so gibt es eine Fülle von technischen Lösungen, die die Verunfallung von Fahrern drastisch minimieren, sei es durch ingenieurstechnische Verbesserungen der Fahrzeuge, durch integrierte, einfach zu handhabende Transportsicherungssysteme und durch organisatorisch-technische Verbesserungen, wie z.B. technische Überwachungssysteme wie Temporegler und Fahrzeiterfassungssysteme usw.. Der Sicherheit dienlich sind in jedem Fall auch externe Kontrollmaßnahmen der Polizei, der Finanzaufsicht (Zoll) oder des BAG’s. Alle Maßnahmen zusammen sind in Hinblick auf die (Transport-) Sicherheit und den konkreten Unfallschutz als sehr effizient einzustufen, und ihre Umsetzung führt zu einem Rückgang der Verunfallungszahlen.

Der gesetzlich vorgeschriebene (präventive) Gesundheitsschutz ist in seiner Notwendigkeit in der Branche noch nicht erkannt worden. Es herrscht in der Branche die Ideologie des "harten Kerls" vor, der dem "free wheeling" frönt und selbstverständlich problematische Transportaufgaben mit Bravour löst, voll verantwortlich, versteht sich. Der Gesundheitsschutz wird als "staatliche Gängelung" und "Einschränkung der Unternehmensfreiheit" verstanden.

Interessant sind die Auswirkungen dieser "Freiheitsideologie" in Hinblick auf die Diagnosen bei Krankschreibungen von Fahrern. Die HSFG hat die Daten des BKK-Bundesverbandes 2003 analysiert (BKK: Gesundheitsreport 2003, Essen, 2004): Der größte Anteil (nach den grippalen Infekten) der Krankschreibungen bezieht sich auf "psychosoziale Auffälligkeiten" mit einer außerordentlich hohen Krankheitsdauer pro Patient. Hier muss von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden, da die Krankenkassen nur den kleineren Teil des Fahrerkollektives, die angestellte Fahrer, erfassen, während der überwiegende Fahreranteil freiberuflich fährt und darum nicht krankenversicherungspflichtig ist.

Die Fahrer bestätigen diese Zahlen mit "Begründungen", weshalb sie bestehende Sicherheits- und Gesundheitsschutzregeln ignorieren: "anschnallen behindert mich bei der Arbeit", "nehme den Auftrag mal eben mit, habe noch Platz auf dem Bock", auch wenn das Fahrzeug bereits überladen ist, "den Termin schaffe ich, fühle mich noch gut", auch wenn die vorgeschriebenen Lenkzeiten längst überschritten sind oder Fahrzeuge einfach getauscht werden u.s.w.. Die Belastungen und Beanspruchungen (Stress) sind den Fahrern im allgemeinen bekannt; wegen der medialen Beachtung und der Unterstützung durch die Auftraggeber werden sie von ihnen jedoch positiv konnotiert. Auffälligkeiten werden individualisiert und in die Verantwortung des einzelnen Fahrers überantwortet.

Es ist festzuhalten, dass die bisher verfolgten Ziele einer betrieblichen Gesundheitspolitik weitgehend reaktiver Natur sind. Auch wenn sich diese immer noch vorherrschende Kultur der Reparatur und Kompensation langsam wandelt (Bieneck, H.J., Das Arbeitssicherheitsgesetz - ein Gesetz im Wandel der Zeit, nicht publizierter Vortragstext aus dem Jahre 2004.) ist festzustellen, dass bei allen Beteiligten, den Unternehmen im Speditions- und Transportgewerbe, den beschäftigten Fahrern, den überbetrieblichen Akteuren (wie Gewerkschaften, Unternehmensverbänden, Gewerbeaufsichtsämtern, Berufsgenossenschaften, Sozialversicherungsträgern, Krankenkassen etc.) und dem Staat als Verordnungs- und Gesetzgeber mit den entsprechenden Aufsichtsbehörden, eine Kultur der vorausschauenden Problemvermeidung und der Wahrnehmung gesundheitsförderlicher Chancen noch weitgehend in den Kinderschuhen steckt.

Insbesondere das komplexe Geflecht der überbetrieblichen Akteure sollte überdacht und reorganisiert werden. Es fehlt an einer klaren Abgrenzung von Verantwortung einerseits und eine kontinuierliche, problemorientierte Zusammenarbeit andererseits - insbesondere auf Seiten der Sozialversicherungsträger. Die Ziele und Aufgaben der staatlichen Aufsichtsbehörden sind zu überdenken. Es muss Raum gegeben werden für einen Diskurs zur Aktivierung betrieblicher Eigenverantwortung.

Die neuen Regelungen zum Arbeitsschutz stellen den Unternehmen die Wahl der Mittel frei. In den von uns befragten Transportunternehmen (BR, Disponenten und Fahrern) ist die "Eigen"-Verantwortlichkeit zum Sicherheits- und Gesundheitsschutz weitgehend unbekannt oder diese "Freiheit" führt zu erheblichen Verhaltensirritationen - die den betrieblichen Arbeitsschutz brach liegen lassen - wie der Pressesprecher des Berliner Landesamtes für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit in einem Interview der Berliner Zeitung (Berliner Zeitung, Nr. 62, vom 15. März 2005, S. 23) bestätigt: "..., viele Unternehmer (sind) von den neuen Freiheiten überfordert. Sie wollen lieber konkrete Vorgaben!"

Die vorherrschende Aufgabe muss sein, die betriebliche Gesundheitsberichterstattung auch und gerade in den KMU´s zu stärken und den Austausch zwischen präventiven Sicherheits- und Gesundheitsschutzunterstützern und der Praxis zu intensivieren. Disziplin- bzw. berufsgruppenorientierte Einseitigkeiten sollten einer problemorientierten Zusammenarbeit mit den betrieblichen Kompetenzträgern weichen.

Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Bestrebungen der Berufsgenossenschaft Fahrzeughaltung (BFG), für das kleinteilig gegliederte Transportgewerbe, ein "Netzwerker"-System mit sogenannten. Moderatoren, die wiederum selbst Klein- oder Einzelfahrerunternehmer sind, aufzubauen und die Kleinunternehmen bzw. Einzelfahrer auf die Notwendigkeit des individuellen (präventiven) Gesundheitsschutzes zu verweisen und sie gegebenenfalls zu unterstützen.

Modernisierung des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes

Auch in Zukunft werden im Transportsektor physische Risiken, traditionelle Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle besonderer Beachtung bedürfen. Die psychischen und sozialen Risiken und die Gesundheitspotenziale der Fahrer sind es jedoch, die den Schwerpunkt der Sicherheits- und Gesundheitsschutzaktivitäten bilden müssen.

Wohlbefinden und Gesundheit sollten im Zentrum des Interesses der Arbeitnehmer, der betrieblichen Interessenvertretung, des Managements und der betrieblichen Sicherheits- und Gesundheitsschutzexperten stehen: Eine dauerhaft hohe wirtschaftliche Leistungskraft ist nur zu erhalten und kann nur weiter gesteigert werden, wenn zugleich die Einbindung und Verantwortungsbereitschaft der Mitarbeiter gefördert wird und modernes Sicherheits- und Gesundheitsmanagement eine hohe Priorität hat.

Die wichtigsten Akteure betrieblicher Gesundheitspolitik sind die Unternehmen selbst: Das Management, der Betriebsrat, die betrieblichen Sicherheits- und Gesundheitsexperten und die im und für Unternehmen Beschäftigten.

Betriebliche Sicherheits- und Gesundheitspolitik genießt derzeitig - dies ist typisch für die gesamte Verkehrsbranche - in den Transportunternehmen bei allen Beteiligten eine geringe Priorität. Das Speditions- und Fuhrgewerbe muss für eine moderne betriebliche Sicherheits- und Gesundheitspolitik beinahe ausnahmslos erst noch befähigt werden. Die kleinen und mittleren Unternehmen müssen wegen ihrer zeitkritischen Einbindung in die logistischen Systeme besonders berücksichtigt werden. Doch auch in größeren und großen Unternehmen besteht beträchtlicher Handlungs- und Entwicklungsbedarf. Wichtig ist eine Befähigung durch Qualifizierung und Austausch von "best-practice"- Beispielen, was nach unseren Branchenrecherche nicht ausreicht, um das Eigeninteresse der Betriebe zu wecken. Ich verstehe nicht, was du hier ausdrücken willst!

Sinnvoll wären in diesem Zusammenhang finanzielle Anreize als "Hebel" zur Aktivierung betrieblicher Sicherheits- und Gesundheitspolitik. Bezieht sich der Satz auf den vorhergehenden? Dann darf zwischen den beiden Sätzen kein Absatz sein.

Ausgehend von der Automatisierungsphilosophie (Steigerung der globalen Wettbewerbsfähigkeit) in der Hafenverkehrswirtschaft, die mit einem starken Arbeitsplatzabbau, massiv verdichteten "Poren der Arbeit" einherging und für die verbleibenden Arbeitnehmer zu einer erheblichen Steigerung physischer und psychischer Belastungen und der Reduktion des Wohlbefindens führte (Lange, J., u.a., Sicherheits- und Gesundheitsschutz beim Containerumschlag im Hafenbereich, Dortmund/Berlin, 1998), hat in den hafenaffinen Logistik-, Speditions- und Transportsektoren zu der betriebsökonomischen Erkenntnis geführt, dass die menschliche Arbeitskraft als Human Ressource in den Gütertransportprozessen als "weiche" Produktionsfaktoren an den technologischen Schnittstellen im Transport "noch" notwendig ist, aber durch innovative technischen Entwicklungen mittel- und langfristig entbehrlich sein wird.

Dem muss widersprechen werden: Die Beschäftigten mit ihrem sozialen, psychischen und physischen Arbeitsvermögen sind die zentralen Voraussetzungen für die hohe Leistungskraft und Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Das Wohlbefinden der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz wird für die effektive Produktion ein entscheidender Faktor bleiben.

Die Berücksichtigung der das Wohlbefinden, die Sicherheit und die Gesundheit beeinflussenden pathogenen und salutogenen Faktoren macht es notwendig, das ganze Unternehmen in den Blick zu nehmen: dazu gehören Führung, Aufbau-, Ablauforganisation, Unternehmenskultur, soziale Beziehungen und nicht mehr nur einzelne Arbeitsbedingungen, Arbeitsinhalte und die technische Ausstattung. Neben der Mensch-Maschine-Schnittstelle wird die Mensch-Mensch-Schnittstelle zum betrieblichen Entwicklungsschwerpunkt.

Die Unternehmen müssen sich einer "gesunden" Organisation verpflichten und sich dabei eines modernen betrieblichen Sicherheits- und Gesundheitsschutzmanagements bedienen (Lange, J., u.a., Gesundheitsschutzkonzepte für kleine mittlere Hafenbetriebe beim Auto- und Massengutumschlag, Dortmund/Berlin, 2002). Ziele eines innovativen Sicherheits-Management-Systems (SMS) werden den Erwartungen der Kunden, Anteilseigner und Mitarbeiter gerecht. Der Schwerpunkt der personalpolitischen Reaktionen auf die gewandelten Rahmenbedingungen lag in der Vergangenheit auf einer "Substituierung durch Technik", einer "Verschlankung durch Outsourcing" und einer "Verjüngung durch "kreative" Personalpolitik" der Belegschaften.

Ansätze für eine zukunfts- und mitarbeiterorientierte Sicherheits- und Gesundheitsschutzpolitik sind in Unternehmen im Transportsektor durchaus vorhanden aber wenig verbreitet, allerdings ist die Akzeptanz dieser Ansätze bei Arbeitgebern wie Gewerkschaften und Belegschaften sehr begrenzt. Ohne erhebliche zusätzliche Anstrengungen seitens der Betriebe und der überbetrieblichen Akteure wird sich diese Situation kaum spürbar ändern, trotz nachweislich steigender Beanspruchungen und Belastungen für die Beschäftigten.

Betriebliche Sicherheits- und Gesundheitsschutzpolitik erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Management der Unternehmen und den Betriebsräten. Diese Forderung wirkt gerade für den überwiegend kleinbetrieblich strukturierten Speditions- und Transportsektor anachronistisch, denn welches Einzelfahrerunternehmen verfügt über einen Betriebsrat? Die global agierenden Akteure begegnen sich auf dem Weltmärkten im Wettbewerb durch Bildung von virtuellen Unternehmen, die sich nach Abwicklung eines Auftrages auflösen und in anderer Form mit anderen Akteuren bei einem neuen Auftrag wieder aufleben.

Bei der Bildung eines virtuellen Transportunternehmens bedienen sich Global Player mit Hilfe geeigneter und IT-gestützter Steuerungsstrategien der vielen Transportunternehmen in der Güterverkehrsbranche. Virtuelle Unternehmen haben zwar ein klares ökonomisches Ziel und verfügen über ein definiertes und verantwortliches Management zur Steuerung der produktiven Prozesse innerhalb des virtuellen Systems, aber sie können wegen der begrenzten Reichweite von normativen Regelwerken zum Sicherheits- und dem Gesundheitsschutz nicht zu deren Umsetzung verpflichtet werden.

Der Verantwortungsansatz für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Akteure in virtuellen Unternehmen muss bei den "Steuerern" angesiedelt sein, da sie die wertschöpfenden Unternehmen im virtuellen Geflecht sind.

Analog zur Verantwortung des Betriebsrates eines Unternehmens für die Arbeitsschutz- und Arbeitssicherheitsbelange eines "Fremdarbeiters", der in den betrieblichen Produktionsprozessen eingebunden ist (BetrVG) und sich auch an den Betriebsratswahlen beteiligen kann, sollte sich der Betriebrat für die Belange der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Akteure in virtuellen Unternehmen kümmern. Die betriebliche Wirklichkeit scheint dieser Vision z.Zt. entgegen zu stehen: weder sehen sich Unternehmen und Betriebsräte in den Betrieben stets als Partner, noch ist auf Seiten der Betriebsparteien das Selbstverständnis unkontrovers, Betriebsräte seien Komanager der Unternehmer. Dass der Sicherheits- und Gesundheitsschutz eine klassische Aufgabe für die Betriebsräte ist, wird nicht immer ausreichend wahrgenommen. Die Unternehmer halten ihn oft für eine lästige Pflicht. Die Notwendigkeiten für ein innovatives betriebliches Sicherheits- und Gesundheitsmanagement und seine Möglichkeiten werden häufig nicht gesehen oder ernst genommen.

Die Schwerpunktverlagerung betrieblicher Sicherheits- und Gesundheitsschutzpolitik in Richtung auf die Unternehmen und die Dienstleistungsorganisationen im Sinne einer Dezentralisierung und einer stärkeren Eigenverantwortung stellt die einzelnen Unternehmen vor neue Herausforderungen.

Das gleiche gilt auch für die überbetrieblichen Akteure: die Krankenkassen, die Berufsgenossenschaften, die Rentenversicherungsträger, die Verbände und den Staat. Aufgabenstellungen, Selbstverständnisse und Handlungsmuster sind zu überdenken und neu zu justieren - was allerdings ohne eine valide Analyse der Ist-Situation (Stärken, Schwächen, Entwicklungsbedarf) kaum möglich erscheint. Die betriebsbezogene Zusammenarbeit dieser überbetrieblichen Akteure ist unter Berücksichtigung einer klaren Abgrenzung der jeweiligen Zuständigkeiten deutlich zu verbessern. Erste entsprechende Entwicklungen im Transportsektor sind bei den Krankenkassen und der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltung zu beobachten, wobei Aspekte der Rentenversicherung und die Notwendigkeit einer Verbindung von Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation dabei noch zu wenig einbezogen werden. Zu bemerken bleibt außerdem, dass die Bundesländer ihre Aufsichtsdienste abbauen, ohne dass Klarheit über deren Zukunft und ihren Funktionswandel besteht.

Mit der neuen Gesetzgebung hat der Staat wichtige Weichen gestellt. Es besteht - wie wir festgestellt haben - jedoch eine Lücke zwischen Vorschriften und ihrer Umsetzung. Wie die Zusammenarbeit zwischen Staat (Bund, Ländern) und den Verbänden der Logistik-. (Zeichensetzung unklar)Speditions- und Transportunternehmen zu gestalten ist - steht noch zur Diskussion. Es ist deutlich geworden, dass sich der Staat einerseits "auf dem Rückzug" befindet, andererseits durch die Notwendigkeit zum verstärkten Arbeiten mit finanziellen Anreizen vor neuen Herausforderungen steht; letzteres gilt auch für seine zukünftigen Prüfpflichten - wie z.B. externe Qualitätssicherung, betriebliches Sicherheits- und Gesundheitsmanagement und "neuer Interventionstyp".

Ansätze für einen fortschrittlichen Sicherheits- und Gesundheitsschutz im Speditions- und Transportgewerbe und eine innovative betriebliche Sicherheits- und Gesundheitspolitik bieten das Arbeitsschutzgesetz seit 1996, das Arbeitssicherheitsgesetz und das SGB VII und SGB V. Daher sind im materiellen Recht schon Ansätze vorhanden. Es besteht Einigkeit darüber, dass es zwar bei der Umsetzung mangelt, die Gesetze jedoch Reformen nicht be- oder verhindern. Die gesetzlichen Grundlagen sind effizient zu nutzen, insbesondere ist darüber nachzudenken, inwieweit für den LKW-Arbeitsplatz nicht die Arbeitsstättenverordnung greifen darf. Hier scheint eine große gesetzliche Lücke nicht geschlossen worden zu sein. Darüber hinaus ist ein neuer Interventionstyp insbesondere für die überbetrieblichen Akteure erforderlich.

Dieser neue Interventionstyp (insbesondere in Zusammenarbeit mit Krankenkassen, Berufsgenossenschaften), der sowohl mit den veränderten Realitäten als auch mit dem Verständnis einer umfassenden präventiven betrieblichen Sicherheits- und Gesundheitsförderung vereinbar ist, wird von folgenden Eckpunkten bestimmt: dezentral, betrieblich angelegt, auf Partizipation der Betroffenen bezogen und als integrierte Aufgabe der Unternehmensstrategie konzipiert, mit, bei entsprechend professionellem Vorgehen, positiven Auswirkungen auch auf das wirtschaftliche Ergebnis. Da der Gesetzgeber bei dieser Form von Interventionstypus den Betrieben im Unterschied zum traditionellen Vorgehen weiten Raum für eigene Gestaltungsmöglichkeiten belässt, sichert er die Akzeptanz und Zumutbarkeit durch Setzung von Rahmenbedingungen und Mindeststandards. Da eine neue betriebliche Sicherheits- und Gesundheitsschutzpolitik große Probleme zu überwinden hat, sollte er durch Moderation, Beratung und Anreize für Schritte auf dem neuen Wege gewähren. Verstehe ich nicht, was du hiermit meinst.

Um bei der Vielfalt von Wegen ein beliebiges und widersprüchliches Verhalten zu reduzieren, sollten die Gewerkschaften und Unternehmensverbände die Unternehmer und Betriebsräte für die betriebliche Sicherheits- und Gesundheitspolitik aktivieren. Dies kann durch zusammenfassende Netzwerke und betriebsübergreifende Plattformen geschehen, die gute Beispiele und erprobte Vorgehensweisen vertiefen, verallgemeinern und übertragbar machen. Die neue Sicherheits- und Gesundheitspolitik muss als Lernprozess angelegt sein und kann sich bei einer grundlegenden Einigung im Wettbewerb vielfältig entfalten.

Sicherheits- und Gesundheitspotenziale sind im Transportwesen sehr unterschiedlich verteilt, sie variieren im hohen Maße entsprechend der tariflichen Einbindung der Fahrer im Transportunternehmen. Insofern ist auch heute noch eine Wahrnehmung überbetrieblicher Interessen durch die Tarifparteien von Bedeutung, alleine schon um dem Eindruck entgegen zu wirken, dass es den Tarifparteien stets nur um Einkommensfragen gehe.

Berlin, den 20. Juli 2005